Ratgeber

Achterbahn der Hormone – die turbulente Fahrt in die Wechseljahre

24. September 2024 #Hormone  #wechseljahre  #zyklus 
Autorin Frau Hilbert-Disch
Dr. Titia Hilbert-Disch

Fachärztin Frauenheilkunde

Der weibliche Zyklus verläuft bereits während unserer fruchtbaren Jahre wie eine Art Achterbahn im Berg-und-Tal-Modus. Wir spüren als Frau auch in dieser Zeit den Einfluss der Hormone auf unser Wohlbefinden, unseren Schlaf, die Versorgung mit Feuchtigkeit unserer Schleimhäute oder unsere Lust auf Sex. In der Regel empfinden wir diese Achterbahnfahrt aber nicht als störend.

Im Alter zwischen 25 und 35 fühlt sich der Zyklus ein bisschen so an, als würde man auf einer Kinderachterbahn sitzen: Wir spüren den Abfall der Hormone in der Woche vor der Periode als leichte Talfahrt, die mit Kopfschmerzen, Bauchkrämpfen, Müdigkeit oder Rückzugstendenz einhergeht, während wir die Zeit um den Eisprung, als die „I‘m sexy and I know it“-Phase erleben. Je näher wir an die Menopause kommen, also unsere letzte Menstruationsblutung, umso mehr wird diese Achterbahnfahrt zu einem rauschenden Abenteuer, das uns auch schlagartig aus einem emotionalen Hoch in ein tiefes Tal werfen kann – ein bisschen so, als ob wir ständig im Silver Star im Europa-Park sitzen.

Viele Frauen empfinden den Zyklus in dieser Zeit etwa zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr als deutlich beeinträchtigender: Prämenstruelle Beschwerden (PMS) nehmen zu, seelische Veränderungen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen, Brustspannen, Zyklusunregelmäßigkeiten mit teilweise starken oder dauerhaften Blutungen oder Gewichtszunahme sind neue Erfahrungen in dieser Lebensphase. Hormonell lassen sich die Symptome in dieser sogenannten Prämenopause auf einen initialen Mangel an Progesteron zurückführen. Unsere Östrogenproduktion hingegen fällt erst später ab, etwa ab dem 45. Lebensjahr, und geht mit neuen Symptomen einher. Hier können dann Hitzewallungen, Gelenkschmerzen, Konzentrationsstörungen, Schleimhauttrockenheit oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auftreten.

Wie bei jeder Achterbahnfahrt kommen wir irgendwann zum Stillstand – die Eierstöcke stellen ihre Hormonproduktion ein, in der Regel zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr. Der daraus resultierende dauerhafte Östrogenmangel führt in unserem Körper zu Folgeerkrankungen, die wir initial noch gar nicht erkennen und erst Jahre später bemerken. Im Klimakterium oder der Postmenopause können uns Scheidenverengung, extreme Haut- und Schleimhauttrockenheit, rezidivierende Harnwegsinfekte, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Abnahme der Knochendichte das Leben schwer machen. Selbst das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, steht in Zusammenhang mit einem frühen Mangel an Östrogen, also z. B. einer frühen Menopause.

Die Wirkung der Sexualhormone auf Körper und Psyche

Östrogen und Progesteron spielen eine entscheidende Rolle für das körperliche und psychische Wohlbefinden. Östrogen unterstützt die Gesundheit von Knochen, befeuchtet die Haut und Schleimhäute, schützt unser Herz-Kreislauf-System und wirkt stimmungsaufhellend, konzentrations- und libidofördernd. Progesteron hat eine beruhigende Wirkung auf das Nervensystem und fördert den Schlaf sowie das emotionale Gleichgewicht. Androgene werden auch im weiblichen Körper gebildet und spielen eine wichtige Rolle für unsere Libido, aber auch für den Aufbau von Muskulatur oder rationales Denken. Ein Ungleichgewicht dieser Hormone kann zu vielfältigen körperlichen und psychischen Beschwerden führen.

 

Typische hormonbezogene Wechseljahresbeschwerden


Progesteronmangel – wenn das Wohlfühlhormon fehlt

Schlafstörungen

Zyklusunregelmäßigkeiten

starke Blutungen

seelische Belastung/Dünnhäutigkeit

Panikattacken

Wassereinlagerungen

Brustspannen

Rückzugstendenz

Östrogenmangel – wenn die Eierstöcke die Rente antreten

Hitzewallungen

Gelenkschmerzen

Kopfschmerzen

Konzentrationsstörungen

Scheidentrockenheit

Gewichtszunahme

Haarausfall

depressive Verstimmung

Herzrasen

Libidoverlust

Androgenmangel – ist mein Sexleben ausgewandert

Libidoverlust

Muskelschmerzen

Welche Hormone sollten bestimmt werden

Immer wieder stoßen wir auch in Fachkreisen auf kritische Aussagen, eine Hormonbestimmung in den Wechseljahren sei nicht sinnvoll, weil die Hormone in dieser Zeit starken Schwankungen unterliegen. Das stimmt zwar, dennoch können Laborwerte sehr wohl Aufschluss auf bestimmte Hormonungleichgewichte liefern. Estradiol, Progesteron, Androgen und das follikelstimulierende Hormon (FSH) sind die großen vier, die Sie im Auge behalten sollten. Wichtig ist die Hormonbestimmung zu definierten Zyklustagen, denn wenn man bei einer Achterbahn die richtige Höhe bestimmen will, muss man natürlich wissen, ob an dieser Stelle gerade ein natürliches Hoch oder ein Tief des entsprechenden Hormons im Zyklus zu erwarten ist. Eine Laboruntersuchung des Progesteronwerts um den 22. Zyklustag kann einen Mangel am besten aufdecken. Estradiol, Androgen und FSH können auch in der ersten Zyklushälfte, idealerweise um den 3. bis 5. Zyklustag bestimmt werden. Ggf. macht auch eine ergänzende Blutabnahme weiterer Hormone und Mikronährstoffe Sinn, wie der Schilddrüsenwerte, Vitamin D, Vitamin B6, Vitamin B12, Zink und Selen, um hier Mangelzustände aufdecken und gezielt substituieren zu können. In der Praxis werden zur Hormonbestimmung Blut- oder Speicheltests eingesetzt. Der Bluttest ist die am häufigsten verwendete Methode, da er präzisere und stabilere Ergebnisse hinsichtlich der aktuellen Hormonkonzentration liefert. Speicheltests, die als weniger invasiv gelten, sind in der Wissenschaft umstritten und werden daher weniger häufig eingesetzt.

Bioidentische versus synthetische Hormone

Bioidentische Hormone sind wie die hippen modernen Schwestern in der Hormonfamilie – sie werden aus der Yamswurzel gewonnen und haben die exakt gleiche molekulare Struktur wie körpereigene Hormone. Das bedeutet auch: Ihr Körper kennt diese Stoffe und weiß, wie sie abgebaut werden müssen. Sie sind daher mit geringeren Nebenwirkungen und Risiken verbunden. Synthetische Hormone hingegen unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur von körpereigenen Hormonen. In der modernen Hormonersatztherapie (HRT) werden in der Regel bioidentische Hormone verwendet. In bestimmten Situationen, z. B. wenn die Hormontherapie auch als Verhütung genutzt werden soll oder starke Blutungen mit bioidentischem Progesteron nicht in den Griff zu bekommen sind, kann eine synthetische Gestagengabe als Alternative zum Progesteron nach wie vor sinnvoll sein. Beide Formen haben spezielle Vor- und Nachteile und sollten individuell abgestimmt verwendet werden.

Progesteron und Östrogen – oder: Zwei sind besser als eins

Sollten Progesteron und Östrogen (Estradiol) immer zusammen eingenommen werden? Nun, das kommt darauf an. Wenn Sie noch eine Gebärmutter haben, dann ja – Progesteron schützt uns vor einem durch Östrogen ausgelösten unnötigen Aufbau der Gebärmutterschleimhaut. Wird Estradiol alleine eingenommen, kann es zu erneut auftretenden Blutungen und schlimmstenfalls zur Entartung kommen. Stellen wir dem Estradiol seinen natürlichen Kontrolleur Progesteron zur Seite, besteht kein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Gebärmutterschleimhautkrebs (Endometriumkarzinom). Daher gilt: Wenn Ihre Gebärmutter noch vorhanden ist, darf Progesteron nicht fehlen.

Schnelle Besserung der Symptome – oder: Geduld ist eine Tugend

Die Wirkung einer Hormonersatztherapie (HRT) zeigt sich in der Regel nicht sofort. Meist werden Veränderungen erst nach wenigen Wochen spürbar. Die Dauer und Intensität der Wirkung variieren individuell, weshalb eine regelmäßige ärztliche Überprüfung der Therapie empfohlen wird.

Nebenwirkungen – oder: Keine Party ohne Kater

Nebenwirkungen in der Hormonersatztherapie können variieren, es kann zu Gewichtszunahme, Brustspannen, Kopfschmerzen, Übelkeit und einem erhöhten Risiko für Thrombosen kommen. Bei bioidentischer Therapie mit Östrogen-Gels in Kombination mit Progesteron ist das Thromboserisiko nicht erhöht. Meist sind Nebenwirkungen ein Hinweis auf eine fehlende Balance der Hormone. Regelmäßige Laborkontrollen und enge ärztliche Abstimmung sind daher in jedem Fall sinnvoll.

Höheres Krebsrisiko – oder: Was sagt die Wissenschaft dazu

Das Krebsrisiko unter HRT ist ein zentraler Untersuchungsgegenstand in der Forschung. Insbesondere für Brustkrebs besteht bei langfristiger Anwendung von HRT, vor allem in Kombination mit Progesteron, ein möglicherweise erhöhtes Risiko. Allerdings lässt sich daraus in keiner Weise schlussfolgern, dass Hormone Brustkrebs auslösen. Sie sind lediglich einer von multiplen Risikofaktoren und die Entstehung von Brustkrebs ist multifaktoriell bedingt. In der Praxis versuche ich es folgendermaßen zu veranschaulichen: „Wenn Sie abends ein Glas Wein trinken, an was denken Sie dann?“ – in kaum einem Fall lautet die Antwort: „Brustkrebs“. De facto ist das Risko für eine Brustkrebserkrankung bei regelmäßigem Alkoholkonsum aber circa 4,5-mal höher einzustufen als bei einer kombinierten HRT über 5 Jahre.

Andererseits wissen wir auch, dass uns Estradiol beispielsweise vor der Entstehung von Darmkrebs oder Lungenkrebs schützt. Eine individuelle Risikoabschätzung sollte in enger Abstimmung mit den behandelnden ärztlichen Kollegen und Kolleginnen erfolgen.

Brustkrebsrisiken richtig einschätzen

Weitere Risiken für Brustkrebs: Einschätzung des Risikos gemessen am Beispiel von 1.000 Frauen.

Leberbelastung durch Hormonersatztherapie

Bei Anwendung von Estradiol-Gels auf der Haut wird der sogenannte First-Pass-Effekt über den Leberkreislauf umgangen und Abbau und Ausscheidung erfolgen zum größten Teil über die Nieren. Progesteron hingegen wird über die Haut nicht ausreichend aufgenommen und muss daher oral eingenommen werden. Hier ist die Leber am Abbau beteiligt. Bei Patientinnen mit bestehenden Lebererkrankungen kann dies zu Problemen führen. In solchen Fällen sollte die Therapie eng überwacht und gegebenenfalls angepasst werden, um eine Überbelastung zu vermeiden.

Bioidentische Hormone – Absetzen oder ein Leben lang einnehmen

Es gibt eine Geschichte, die besagt, dass in einer Region Japans die ältesten Frauen der Welt leben, die alle einen Estradiolwert von 30 pg/ml haben. Dieser Wert entspricht in etwa dem unteren anzustrebenden Estradiol-Grenzwert einer Hormonersatztherapie. Ob das stimmt? Nun, sagen wir es so: Wissenschaftliche Beweise dazu sind dünn gesät, aber es klingt nach einer wunderbaren Idee. Die Ursachen für diese Langlebigkeit sind jedoch multifaktoriell und nicht allein auf den Estradiolspiegel zurückzuführen. Faktoren wie Ernährung, Lebensstil und Genetik spielen eine wesentliche Rolle. Die langfristige Einnahme bioidentischer Hormone galt bislang eher als umstritten. In der Regel betrug die durchschnittliche Einnahmedauer 5 bis 7 Jahre. Neuere Studien hingegen zeigen, dass eine Einnahme auch nach dem 65. Lebensjahr protektiv wirkt auf die Entstehung vieler Folgeerkrankungen wie z. B. Darmkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und Osteoporose. Eine große 2024 veröffentlichte Studie aus den USA mit 10 Millionen Patientinnen zeigte sogar, dass Frauen mit dauerhafter HRT länger leben als Frauen, die nie Hormone eingenommen haben oder die Einnahme irgendwann abbrachen. Insgesamt kann man wohl festhalten: Langfristige Einnahmen bioidentischer Hormone können sinnvoll sein, sollten aber gut abgewogen werden, da sie nicht für jede geeignet sind. Die Dosis sollte so gering wie nötig gehalten werden, um die positiven Effekte zu erhalten, ohne unnötige Risiken einzugehen.

Fazit:


Die Wechseljahre als große Achterbahn der Hormone sind eine bedeutende Phase im Leben einer Frau, die mit vielseitigen körperlichen und psychischen Herausforderungen verbunden ist. Oftmals fehlt es an der notwendigen Aufklärung, welche Symptome und Folgeerkrankungen die hormonelle Umstellung umfasst. Die gute Nachricht: Wir müssen diese Phase nicht aushalten und haben heute zielführende Therapien zur Verfügung, um die Symptome deutlich zu lindern. Dabei ist eine enge Abstimmung mit dem behandelnden Arzt bzw. der behandelnden Ärztin notwendig, um die Therapie optimal auf die Bedürfnisse und Risiken der Patientin abzustimmen. Das schönste Kompliment meiner Patientinnen unter HRT lautet für mich immer: „Endlich fühle ich mich wieder wie die Frau, die ich war und sein will.“

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©2023 Hildegard Braukmann